Die Historie des Schreinerhandwerks ist durch die Ortschronik „1200 Jahre Eschelbronn“ von 1989, universitäre Arbeiten und verschiedene Aufsätze in regionalgeschichtlichen Publikationen ausführlich aufgearbeitet.
1. Wissenstransfer der Furniertechnik als Ausgangspunkt des Eschelbronner Schreinerhandwerks
Eschelbronn war bis ins 19. Jahrhundert ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf, in dem sich die Bauern mit Leineweberei ein Zubrot verdienten. Vor 1870 gab es in Eschelbronn vereinzelt Schreiner, die Möbel für den hiesigen Bedarf der Bevölkerung herstellten. Es war schon damals üblich, dass Schreinersöhne auf die Wanderschaft (Walz) gingen. Der Eschelbronner Georg Adam Kaiser brachte bei seiner Rückkehr den aus der Schweiz stammenden Schreiner Johannes Reimann mit, den er in Lahr kennengelernt hatte.
Johannes Reimann wurde auf dem Hof Schochen in Turbenthal im Kanton Zürich geboren und hatte sich die Technik des Furnierens angeeignet, die bisher in Eschelbronn unbekannt war. In seinem Heimatkanton hatte die Holzverarbeitung seit dem Mittelalter eine große Bedeutung. Mit diesem Verfahren war es möglich,
minderwertige Hölzer mit edleren Holzarten zu belegen. Johannes Reimann machte sich selbstständig und mietete eine Werkstatt im ersten Stock, im ältesten Wohnhaus von Eschelbronn (1630 erbaut) in der Oberstraße 12 an. Er ist bereits 1873 in Eschelbronn nachgewiesen und heiratete 1874 in die benachbarte Schreinerfamilie Geiger in der Oberstraße 18 ein, wodurch er in Eschelbronn sesshaft wurde. Dies führte dazu, dass er die Technik des Furnierens an seine Schreinerlehrlinge weitergab. Zudem brachte Georg Adam Kaiser die während seiner Walz erlernten Techniken in die väterliche Schreinerei in der Neugasse ein. In einem Ortsbereisungsprotokoll von 1885 wurde das Schreinerhandwerk bereits erwähnt und für 1890 sind drei Schreinereien nachgewiesen. Aus dieser frühen Phase gingen die Schreinereien Echner, Grab, Kirsch, Lenz, Rumig, Steiß und Wolff hervor. Die Schreinerei Steiß existiert heute noch.
2. Weitere Entwicklung des Eschelbronner Schreinerhandwerks
Der Bahnanschluss 1862 an die Linie Heidelberg-Meckesheim-Mosbach-Würzburg begünstigte die spätere Entwicklung von Eschelbronn zum Schreinerdorf6. Dadurch konnten die fertiggestellten Möbel leichter geliefert und Holz aus dem Schwarzwald oder Allgäu bezogen werden.
Außerdem gab es bereits seit dem 17. Jahrhundert eine Sägemühle, was ein Vorteil war. Die großen Waldungen aus Eichen und Buchen mit rund 31% der Gemarkungsfläche (25% betrug der Durchschnitt im Kraichgau) waren ein weiterer positiver Faktor für das lokale Holzgewerbe, da Hartholz für die Möbelherstellung gefragt war. Aufgrund des großen Interesses an der Ausbildung zum Schreiner wurde in Eschelbronn bereits 1908 eine gewerbliche Fortbildungsschule eingerichtet. Eschelbronn entwickelte dadurch eine Strahlkraft auf die Nachbarorte, da auch Auswärtige aus Neidenstein, Daisbach, Epfenbach oder Aglasterhausen in den hiesigen
Werkstätten den Beruf des Schreiners erlernten. Ungefähr 70% der männlichen Eschelbronner Schulabgänger begannen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Schreinerlehre. Der Wissenstransfer des Furnierens beeinflusste mit diesen positiven Standortfaktoren das Schreinerhandwerk und es begann eine enorme Expansion der örtlichen Möbelindustrie. Bereits um 1900 gab es 14 selbstständige Schreinereien und bis 1914 erreichte man einen Höchststand von 60 Betrieben. Der hohe Anteil wird bei einem Vergleich zur Einwohnerzahl deutlich, da es 1925 auf 1135 Einwohner insgesamt Schreinereien gab. In den Anfangsjahren konzentrierte sich die Produktion auf die nähere Umgebung, aber ab Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Absatzmarkt mit Kleinserien (z.B. Kleiderschränke, Schlafzimmer) erweitert. Mit der Bahn wurden die Eschelbronner Möbelstücke in das Elsass, das Saargebiet, das Rheinland, nach München, nach Wien und bis Hamburg geliefert. Ab den 1920er Jahren bildeten sich aus den Schreinerbetrieben, durch die zunehmende Industrialisierung dieses Wirtschaftszweiges, Großfirmen wie die späteren Möbelfabriken Streib und Geiß heraus. In der Zeit des Wirtschaftswunders (1950er/1960er Jahre) kam es zu einer Blütephase der drei Möbelfabriken Ernst, Streib und Geiß sowie der Errichtung von Ausstellungsräumen. Das örtliche Schreinerhandwerk bot Arbeit für 400 bis 450 Beschäftigte. Mit dem Strukturwandel setzte ab den späten 1960er Jahren ein Rückgang ein, weshalb die Möbelfabrik Philipp Ernst 1970 geschlossen wurde. Die Möbelfabriken Streib und Geiß stellten um das Jahr 2000 ihre Produktion ein und konzentrierten sich auf den Möbelhandel.
3. Baugeschichtlicher Einfluss des Schreinerhandwerks auf das Ortsbild
Das Schreinerhandwerk und der damit verbundene Wohlstand der Bevölkerung führten ab den 1870er Jahren zu einem fundamentalen Wandel des Ortsbildes, der noch heute sichtbar ist. In einer Zulassungsarbeit der Universität Mannheim wurde dieser Aspekt besonders hervorgehoben:
Innerhalb der Entwicklung des Bauernhauses nimmt das Schreinerhaus eine Sonderstellung ein, es ist als phänotypische Erscheinung an die gewerbliche Entwicklung der 20er Jahre gebunden. […] Mit der Entstehung des Schreinerhandwerks trat bei einem Teil der Bauernhäuser ein funktionaler Wandel ein – in den Ställen wurden Werkstätten errichtet, neue gewerblich genutzte Anbauten erstellt, mit hereinströmendem Kapital auch die Wohnräume umgebaut. Noch heute unterscheidet sich Eschelbronn von den umliegenden Gemeinden dadurch, daß nahezu sämtliche Fachwerkhäuser des alten Kerns verputzt sind; dies erfolgte durch den Wandel vom Bauerndorf zum Schreinerdorf
Malter, Die drei Kraichgaugemeinden Eschelbronn, Zuzenhausen und Meckesheim, S. 29.
Die Eschelbronner Bevölkerung konnte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre alten Häuser durch Neubauten ersetzen oder diese entsprechend für die Bedürfnisse des Schreinerhandwerks umbauen18. Es entstand der hiesige Typ des Eschelbronner Schreinerhauses mit integrierter Werkstatt und Maschinenraum, der an Gebäuden in der Kandel- und Friedhofstraße weiterhin zu erkennen ist.
4. Schreinerhandwerk heute
Seit den 1970er Jahren wurde die Eschelbronner Möbelindustrie durch kleinere holzverarbeitende Industrie- und Gewerbebetriebe abgelöst. Heute gibt es weiterhin 12 Firmen, die mit dem Holz- und Schreinergewerbe in Verbindung stehen. Für die am Ort ansässigen Schreiner bietet die Maß-, Sonder- und Einzelanfertigung eine Zukunftsperspektive. Die Spezialisierung auf Nischen (z.B. hochwertige Design-Möbel oder Brand- und Rauchschutztüren) sichert bis heute den Fortbestand des Schreinerhandwerks in Eschelbronn. Die Stefan Dinkel GmbH spezialisierte sich beispielsweise auf Brandschutzelemente. Es gibt weiterhin mit der Firma Geiß ein großes Möbelhaus sowie das Furnierwerk Schorn & Groh. Die Firma Amend (Holz Design Manufaktur) liefert individuelles und ästhetisch anspruchsvolles Mobiliar, das speziell auf die Kundenwünsche zugeschnitten ist. Hierbei spielt die Regionalität der Holzarten eine Rolle, da heimische Harthölzer (Nuss, Eiche, Kirsche, Birne) verarbeitet werden. Bei der örtlichen Firma Schneider-Mosolf handelt es sich um einen überregional bekannten Spezialisten für die Herstellung von Kindergarteneinrichtungen und hochwertigen Kindermöbeln, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Firma knüpft an die Tradition der Innenausstattung von öffentlichen Gebäuden an, da Eschelbronner Schreiner bereits in den 1970er Jahren verschiedene Schulen und das Kreiskrankenhaus Sinsheim gemeinsam ausstatteten.
Die fachkundige Beratung, Qualität, Langlebigkeit der Produkte, zuverlässige Ausführung und Kundennähe sind in Zusammenhang mit der Marke „Schreinerdorf“ heute noch gefragt. Vonseiten der Gewerbetriebe gibt es deshalb regelmäßige verkaufsoffene Sonntage im März und im September an Kirchweih (Kerwe), an denen die Möbelhäuser und Werkstätten geöffnet sind.
5. Traditionspflege und Identifizierung mit dem Begriff „Schreinerdorf“
Wegen der engen Bindung der Gemeinde zum Schreinerhandwerk feierte man 1979 das Fest „100 Jahre Schreinerdorf Eschelbronn“ (1879-1979). Nach heutigem Wissensstand kann aber bereits das Jahr 1873 mit der Einführung der Furniertechnik als Ausgangspunkt für das Schreinerdorf angesehen werden, da dies der erste
bekannte Nachweis für den Aufenthalt von Johannes Reimann in Eschelbronn ist.
Die Tradition des Schreinerhandwerks wird seit Anfang der 1980er Jahre mit dem Aufbau eines Schreiner- und Heimatmuseums gepflegt, das heute in der Alten Schule untergebracht ist. Das Museum befindet sich in Trägerschaft der politischen Gemeinde und wird vom Heimat- und Verkehrsverein betreut. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wandel des Schreinerhandwerks bis in die heutige Zeit. Die Sammlungs- und Ausstellungsstücke sind erschlossen und werden von den Vereinsmitgliedern durch Führungen (auch für Schulklassen) und an Aktionstagen (z.B. Kerwe) den Besuchern nähergebracht.
Die umgebaute Pausenhalle dient als moderner Veranstaltungsraum für Vorträge oder wird im Rahmen des Ferienprogramms genutzt, um Kindern die hiesige Schreinertradition näherzubringen. Das Eschelbronner Schreinermuseum findet durch die Kooperation mit benachbarten Heimatmuseen und durch die gemeinsame regelmäßige Beteiligung am Maimarkt in Mannheim großen Zuspruch in der Metropolregion Rhein-Neckar. Ein weiterer Schwerpunkt stellt die Zusammenarbeit mit den Schreinerklassen der Sinsheimer und Eberbacher Gewerbeschulen dar, die sich durch Projekte in die Gestaltung der Museumsräume einbringen. Im Jahre 2011 würdigte der Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungspräsidium Karlsruhe das innovative Eschelbronner Museumskonzept mit dem Förderpreis „Vorbildliches Heimatmuseum“.
Außerdem hält die Mundart-Theatergruppe „Sellemols“ die Erinnerung an das historische Erbe der Gemeinde aufrecht. Mit ihren durch Funk und Fernsehen bekannten Theaterstücken der Heimatdichterin Marliese Echner-Klingmann (1937-2020), darunter „Vom Leineweber- zum Schreinerdorf“, bringen sie einem breiten Publikum die Schreinertradition und den Wandel der letzten Jahrzehnte näher.
Der seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte Name „Schreinerdorf Eschelbronn“ ist heute noch in der Bevölkerung verankert und dient der lokalen Selbstzuschreibung, da viele Väter, Großväter oder Urgroßväter den Beruf des Schreiners ausübten oder mit der Möbelproduktion in Beziehung standen. Die Einwohner sind sehr stolz auf diese Handwerkstradition. Aus diesem Grund besteht von der Einwohnerschaft ein großes Interesse im Ortsnamen an das Schreinerhandwerk zu erinnern.
6. Fazit
Der Namenszusatz „Schreinerdorf“ trägt zur Bewahrung des historischen Erbes bei und bietet in Zusammenhang mit dem bereits genannten Schreiner- und Heimatmuseum touristische Möglichkeiten, wie die Ausarbeitung eines Schreiner-Rundgangs oder besondere Themenführungen. Eschelbronn ist trotz des Strukturwandels noch heute im nordbadisch-pfälzischen Raum als Schreinerdorf bekannt. Der Ludwigsburger Geografie-Professor Peter Kirchner, der Eschelbronn mit anderen Kommunen mit einer räumlichen Ansammlung von Betrieben eines Wirtschaftssektors und deren Verflechtung verglich, hob für den baden-württembergischen Wirtschaftsraum die besondere Konzentrierung des hiesigen Möbelgewerbes hervor:
Die Konzentration des Eschelbronner Möbel-Clusters auf ein einziges Dorf ist dagegen einmalig und spiegelt sich in der Bezeichnung als Schreinerdorf Eschelbronn wider.
Friedel, „Dann setz‘ ich meinen Hobel an….“, S. 126
Im Rhein-Neckar-Kreis und in den angrenzenden Gebieten ist die Bezeichnung „Schreinerdorf“ ein Alleinstellungsmerkmal. Eschelbronn ist auch im Kontext des Wissenstransfers eines der wenigen Beispiele im ländlichen Raum, wodurch ein Innovationsschub aus der Schweiz die wirtschaftliche Entwicklung eines bis dahin landwirtschaftlich geprägten Dorfes nachhaltig bis in die heutige Zeit beeinflusste. Es besteht deshalb vonseiten der politischen Gemeinde und Bevölkerung der Wunsch an diese herausragende Besonderheit im Ortsnamen zu
erinnern. Der offizielle Namenszusatz „Schreinerdorf“ würde die für die Region einmalige Entwicklung der Gemeinde würdigen, zumal die historischen Bezüge, die Identifizierung der Bevölkerung mit dem Schreinerhandwerk und die innovativen Ansätze der lokalen Handwerksbetriebe dies belegen.
Eberbach am Neckar, den 30. Juni 2021
Dr. Marius Golgath
(Stadt- und Verbundarchivar)
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