Die ersten Kerweumzüge nach den Erinnerungen eines Zeitzeugen

Beim Heimat- und Verkehrsverein wird der Satzungsauftrag „Pflege alten Brauchtums“ ernst genommen, und dazu gehören auch die Kirchweih-, bei uns Kerweumzüge, die hier eine alte Tradition haben.

Unsere Vorfahren machten gerne Ortsumzüge, auch wenn sie, wie an Fasenachtsdienstagen, nur zu Fuß mit ausgefallener Verkleidung durchgeführt wurden. Dabei wurde mehr gegrölt als gesungen, denn man war froh, dass der Winter vorbei war.

Einen viel höheren Stellenwert hatten schon immer die Kerweumzüge, über die unsere Väter und Großväter viel erzählen konnten. Schon im Spätsommer machten sich die Burschen an den Wirtshaus- Stammtischen Gedanken über die Kerwe im September und mit dem Wirt wurde verhandelt, was er dieses Jahr springen lassen will. Die Wirte ließen sich nicht lumpen, denn eine Nichtbeteiligung seiner Wirtschaft wäre eine Schande gewesen, und so bleib die Tradition erhalten.

In der Zeit von 1933 bis 1945 waren solche bürgerlichen Umzüge nicht beliebt und schon gab es auch Ersatz für diese.

Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) organisierte am Tag der Arbeit l. Mai Umzüge und vom Reichsnährstandsbüro in Sinsheim kam an die Landfrauen und an die Landjugend der Auftrag, am Erntedankfest einen Umzug zu gestalten. Als 1939 der Krieg ausgebrochen war, hatten der Staat, die Gesellschaft und die Menschen ganz andere Sorgen.

In den ersten Nachkriegsjahren war kein Grund zu feiern. Viele Familien hatten Gefallene zu beklagen, durch Flüchtlinge, Heimatvertriebene und Ausgebombte aus den Städten hatte sich die Einwohnerschaft verdoppelt und die Unterbringung all dieser Neubürger mit Zwangseinweisungen brachte viel Unmut und Streit unter die Einwohner.

Mit der Einführung der DM (Deutschen Mark) im Sommer 1948 wurde das Leben wieder plötzlich ganz anders.

Die Zeit hatte Wunden geheilt, es gab wieder alles zu kaufen und in den Gastwirtschaften gab es wieder gutes Bier, Weine und andere Getränke. Unter der Dorfjugend gab es plötzlich wieder Gespräche über die Kerwe und um das Wiederaufleben der Kerweumzüge.

Die wiedergegründeten Vereine hatten mit ihrem Aufbau zu tun, und so nahm ich als 21- Jähriger die Organisation in die Hand. Es fanden sich genügend Landwirte, die sich mit ihren Fahrzeugen zur Verfügung stellten, und jede Gruppe baute sich einen Wagen.

Der Musikverein war ja auch wieder gegründet und spielfähig, und so klappten die Umzüge recht gut.

Eine Glanzzeit für die Kerweumzüge begann mit der Gründung des Verkehrsvereins 1954. Als ich 1956 zum neuen Vorsitzenden gewählt worden war, wurden die Kerweumzüge zur Chefsache.Wir hatten im jungen Verein neben den Handwerksmeistern auch viele junge arbeitswillige Mitglieder und alljährlich beteiligten sich auch meist sieben bis acht Ortsvereine an den von uns organisierten Kerweumzügen.

Als wir mit der Gründung eines Spielmanns- und Fanfarenzuges im Jahr 1959 mit vielen jungen Kräften bereichert worden waren, gingen wir daran, die Umzüge allein zu gestalten, was auch einige Jahre sehr gut gelang. Am Umzug 1960 konnte sich erstmals auch dieser vereinseigene Musikzug beteiligen, was eine schöne Bereicherung war.

Wir hatten damals eine 18- köpfige Vorstandschaft, die schon im Sommer den neuen Kerweumzug besprach und im Detail festlegte. Von den selbstständigen Schreinern wie Karl Hahn, Walter Frick, Georg Haißer und Georg Ernst bekamen wir mit Materialien, Maschinenbenützung und Unterstellmöglichkeiten volle Unterstützung.

Unser Vorstandsmitglied Fritz Kasper, Seerain, stellte bei diesen Vorbesprechungen immer wieder die Frage nach der praktischen Umsetzung der Gedanken, und er wurde unser planerischer Konstrukteur.

Nach seinen Zeichnungen wurden die Motivwagen zusammengebaut, wobei sich Helmut Echner als der aktivste Mitarbeiter bewährte.

Die Ufos über Deutschland waren damals im Gespräch und ganz überraschend kamen bei einer Kerwe Marsmenschen mit mehren Raumschiffen und beteiligten sich am Umzug.

Dann wurde 1962 das 100-jährige Bestehen der Bahnlinie Heidelberg- Eschelbronn- Würzburg mit einem kompletten Zug gefeiert, der durch die Ortsstraßen fuhr, wobei sich eine erzählungswürdige Episode ereignete. Der große Beifall während des Umzuges ließ beim Zugpersonal den Gedanken reifen, anschließend nach Epfenbach zu fahren, dass dort endlich auch ein Bahnsanschluss besteht, was ihre Vorfahren bei der Planung der Linienführung um 1860 abgelehnt hatten. Wir fuhren also wohlgemuts in Richtung Epfenbach, doch schon in der Spechbacherstraße fiel die Lokomotive mit einem platten Reifen aus und im Gänseschritt marschierte das Zugpersonal zurück ins heimatliche Kerwedorf.

Mit herrlichen Motivwagen wurde 1963 an die Vorteile der Stromversorgung erinnert, die vor 60 Jahren im Schreinerdorf eingeführt worden war. In den Folgejahren wurden auch wieder die Ortsvereine zur Gestaltung der Umzüge eingebunden und als in den 70-er Jahren die Gemeinde die Materialkosten übernahm und auch die besten Wagen prämiert wurden, waren die Vereine wieder stärker zur Mitarbeit bereit.

Die Organisation der Kerweumzüge liegt seit Jahren nun in Händen des Bürgermeisteramtes. Von dort ergeht alljährlich die Bitte ums Mitmachen an alle Vereine, doch gemessen an der Vereinsvielzahl ist die Teilnahme etwas schwach geworden. Bleibt zu hoffen, dass das gemeinsame Wollen nach sehenswerten Umzügen sich verstärkt, damit diese alte Tradition erhalten bleibt, die durch keine Straßenkerwe ersetzt werden kann.